Florian Kührer Mag. phil.
Wien
Siebenbürgen ohne Siebenbürger?
Rumänische Perspektiven zwischen regionaler Identität und nationaler Vereinheitlichung, 1918-1938
Dienstag, 15. November 2011, 18.15 Uhr, Fakultätssaal (Philosophicum)
In der Folge der Neuordnung Europas nach dem Ersten Weltkrieg konnte Rumänien sein Staatsgebiet mit der Angliederung Bessarabiens, des Banats und ein um Gebiete im Norden und Westen erweitertes Siebenbürgen mehr als verdoppeln. Die „Heimholung“ Siebenbürgens nimmt im nationalen Gedächtnis Rumäniens einen besonderen Platz ein. Die Haltung der Siebenbürger Rumänen zu dieser Union ist jedoch widersprüchlicher und die Praxis der Integration umstrittener als dies in der „nationalen Meistererzählung“ dargestellt wird. Welche Strategien verfolgten die Siebenbürger Rumänien zur Abgrenzung vom dominanten politischen Zentrum Bukarest? Welche Faktoren haben Rumänien trotz relativ deutlich divergierender regionaler Identitäten zu einem Zentralstaat werden lassen, der auch über wechselnde ideologische Konjunkturen hinweg in seinen Grundzügen bis heute bestehen blieb?
Florian Kührer, Mag. phil., hat Geschichte (Schwerpunkt Osteuropa) und Romanistik/Rumänisch an der Universität Wien studiert; 2004/2005 zwei Semester an der Babeş-Bolyai-Universität Klausenburg (Rumänien); Forschungsaufenthalte in Klausenburg und Bukarest. Forschungsschwerpunkte: Nationalismus und Historiographie, Rumänien in der Zwischenkriegszeit, siebenbürgische Regionalgeschichte, Imagologie Südosteuropas. Seit 2009 Assistent am Initiativkolleg „Europäische historische Diktatur- und Transformationsforschung“ an der Universität Wien mit einem Dissertationsprojekt zur Integration Siebenbürgens in den rumänischen Staat nach 1918.
Publikationen (Auswahl): Vampire. Monster–Mythos–Medienstar. Kevelaer 2010. Von Dieben und Doktoren. Die Rumänisierung Kronstadts. Das Beispiel der Jorgastraße. In: Kronstadt und das Burzenland. Hg. Bernhard Heigl u.a. Köln u.a. 2011; Helden der Kohäsion? Politische und sakrale Heilige und ihre Funktion in Rumänien und Südosteuropa. In: Ostkirchlichen Studien 2/2010; Die Pforten der Christenheit. Der Fall Konstantinopels und der Kampf gegen die Osmanen in den rumänischen Geschichtslehrbüchern 1942-2006. In: Matthias Corvinus und seine Zeit zwischen Wien und Konstantinopel, Veröffentlichungen zur Byzanzforschung, Wien 2010.
Prof. Dr. Gabriella Schubert
Jena/Berlin
Frieden, Bruder, Frieden!
Musikalische Botschaften aus Südosteuropa
Dienstag, 22. November 2011, 18.15 Uhr, Fakultätssaal (Philosophicum)
In Westeuropa weiß man über Südosteuropas musikalische Traditionen und Ausdrucksformen sehr wenig; eine diffuse Vorstellung besteht lediglich über Balkan-Musik als Ethno-Musik. Nach einem kurzen Überblick über einige Besonderheiten der historischen Entwicklung der südosteuropäischen Musikkulturen wird die für Südosteuropa so bedeutende Volksmusik in den Blick genommen, die als „Balkanwelle“ Westeuropäer immer wieder in Begeisterung versetzt. Im Mittelpunkt des Vortrages steht jedoch ein Musikstil, der sich im autoritären sozialistischen Milieu entfaltete und Ausdruck für die Lebenshaltung und die politische Opposition einer ganzen Generation war: die Rockmusik. Eine besondere Sprengkraft erhielt sie im auseinanderfallenden Jugoslawien und ganz besonders in Serbien. Während des autoritären Milošević-Regimes standen sich zwei Musikstile gegenüber: der von den Nationalisten geförderte, einlullende und schwülstige, über reale Gegebenheiten hinwegtäuschende sog. Turbo-Folk, gekennzeichnet von Anklängen an den Orient und von primitiver Ästhetik, und Rockmusik, die sich zum Medium der Widerstandsbewegung der jungen Generation entwickelte. Am Ende des Vortrags wird ein Ausblick auf die heutige Situation der Rockbands und ihre Wiederbelebung in der „Balkan-Ökumene“ gegeben, ferner die unter der Durchschnittsbevölkerung populäre Unterhaltungsmusik vorgestellt, die eine Mischung von MTV und Folklore darstellt und auch im Eurovision Song Contest vertreten wird. Die Ausführungen werden von konkreten Musikvideos und Textbeispielen begleitet.
Gabriella Schubert hatte von 1995–2010 die Professur für Südslawistik und Südosteuropastudien an der Friedrich-Schiller-Universität Jena inne. Sie ist Mitglied der Serbischen Akademie der Wissenschaften Belgrad; Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften Budapest; Trägerin der Konstantin-Jireček-Medaille der Belgrader Universität; 2009 Auszeichnung durch die Bulgarische Akademie der Wissenschaften; Mitglied des Präsidiums der Südosteuropa-Gesellschaft. Ihre Forschungsschwerpunkte betreffen u.a. Ethnologie und Folkloristik der Ethnien Südosteuropas, Das Eigene und das Fremde im Spiegel der Literatur.
Über 200 Veröffentlichungen (u.a.: Kleidung als Zeichen. Kopfbedeckungen im Donau-Balkan-Raum. Berlin 1993; Serbien in Europa. Leitbilder der Moderne in der Diskussion. Wiesbaden 2008; Prowestliche und antiwestliche Diskurse in den Balkanländern/Südosteuropa. Hg. gem. mit Holm Sundhaussen. München 2008) und zahlreiche Vorträge zur Südslawistik, zur komparatistischen Südosteuropaforschung und zur Balkan-Ethnologie; u.a. auch zur Musikkultur: Der epische Sänger als Mittler zwischen Diesseits und Jenseits (1989); Pfeifen und Flöten aus Ton im Donau-Balkan-Raum (1994); Zur epischen Tradition im serbisch-montenegrinischen kulturellen Selbstverständnis (2005).
Prof. Dr. Vasilios N. Makrides
Erfurt
Hat die Orthodoxie mit der griechischen Finanzkrise seit 2009 etwas zu tun?
Donnerstag, 8. Dezember 2011, 18.15 Uhr, Fakultätssaal (Philosophicum)
Die Diskussionen um die Finanzkrise in Griechenland seit 2009 und deren mögliche und befürchtete Konsequenzen sowohl für die Eurozone als auch für die Weltwirtschaft monopolisieren die Medien – und dies nicht nur in Deutschland. Unter anderem wird auch über die Gründe reflektiert, die zu dieser Krise in Griechenland geführt haben, wie über die vielen Defizite in der öffentlichen Verwaltung des Landes. Jedoch werden andere Auslöser dieser Krise und insbesondere ideologische wie etwa orthodox-kulturelle Faktoren überhaupt nicht wahrgenommen. In diesem Vortrag wird speziell auf solche Ideen und Theorien (z.B. auf die Überlegenheit und der Einmaligkeit der griechisch-orthodoxen Zivilisation und Lebensweise) eingegangen, die seit den 1980er Jahren in verschiedenen Diskursen artikuliert und im Land verbreitet waren und die in vielerlei Hinsicht den geistigen Hintergrund der obigen Krise ausmachen.
Vasilios N. Makrides ist seit 1999 Professor für Religionswissenschaft mit Schwerpunkt Orthodoxes Christentum an der Philosophischen Fakultät der Universität Erfurt. Er studierte Theologie, Religionswissenschaft und Religionssoziologie an den Universitäten Athen, Harvard und Tübingen, wo er 1991 promovierte. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u.a. Kulturgeschichte und Soziologie des Orthodoxen Christentums.
Neueste Publikationen: Hellenic Temples and Christian Churches: A Concise History of the Religious Cultures of Greece from Antiquity to the Present. New York 2009; und hrsg. zusammen mit Victor Roudometof, Orthodox Christianity in 21st Century Greece: The Role of Religion in Culture, Ethnicity and Politics. Farnham 2010.